Was „fair“, „bio“ oder „nachhaltig“ bedeuten, ist vielen Menschen in der analogen Welt des Alltags bekannt. Öffentliche Diskurse sowie Gesetze erhöhen zunehmend den Druck auf Produzenten und Händler und Leitfäden helfen bei der Orientierung durch den mittlerweile stark gewachsenen Label-Dschungel.
Was diese Attribute hingegen im digitalen Raum bedeuten, ist den meisten Menschen nicht bewusst, geschweige denn bekannt, obwohl sie sich täglich in diesem Raum aufhalten. Wer weiß schon, welchen Müll er mit seinen Mails, Suchanfragen oder YouTube-Videos produziert?
Noch komplizierter wird es, wenn wir uns das Attribut „fair“ anschauen: In vielen Fällen fördert die Digitalisierung leider keine Gerechtigkeit, weder, was den Zugang zu noch den Umgang mit Informationen angeht. Eldoradoähnlich erwirtschaften ferner wenige große Player mit den Daten ihrer Millionen Nutzer Profite – die sie an die Gesellschaft, die ihnen diese Daten und damit Profite überhaupt erst ermöglicht, jedoch nicht zurückgeben.
Soll die Digitalisierung als Teil der Twin Transformation wirklich auf unsere Nachhaltigkeitsziele einzahlen, brauchen wir für sie klare Leitprinzipien. In der folgenden kleinen Serie stelle ich diese Leitprinzipien einer nachhaltigen – und damit zukunftsfähigen – Digitalisierung vor. Den Anfang macht eine Sensibilisierung, warum wir beim Heilsbringer Digitalisierung genauer hinschauen müssen.
Die drei größten Herausforderungen einer nachhaltigen Digitalisierung
In meinen ersten beiden Blogeiträgen drehte sich alles um die eigene nachhaltige Website (Teil 1 gibt’s hier, Teil 2 hier). Dort kam ich bereits auf die zentralen Herausforderungen zu sprechen. Sie lauten Energie, Datenschutz und Gemeinwohlorientierung. Was im Kleinen gilt, gilt im Großen erst recht, weshalb wir jetzt mal einen Blick auf unser digitales Nutzerverhalten werfen.
Unser digitaler CO2-Fußabdruck
Wir starten mit ZDF: Zahlen, Daten, Fakten. Nicht sehr prosaisch, dafür sehr aufschlussreich.
In unserem Klimabudget stehen uns knapp 2 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr zur Verfügung. Das Ökoinstitut hat ermittelt, dass wir fast die Hälfte davon allein für unseren digitalen Lebensstil verbrauchen. Hier sind keine Lebensmittel, keine Mobilität, kein Wohnen inkludiert! Schätzungen gehen davon aus, dass der Versand einer einzigen Mail ohne Anhang 4 g CO2 verursacht, mit Anhang 30 g und eine Stunde Video streamen 3,2 kg. Zum Vergleich: Ein PKW verursacht im Schnitt 150 Gramm CO2-Emissionen pro Kilometer.
In unseren digitalen Fußabdruck fällt aber nicht allein die Nutzung, sondern auch die Herstellung der Geräte. Ein Smartphone etwa verbraucht bei seiner Herstellung rund 100 kg CO2. Benutzen Sie es ein Jahr, weil Sie sich gern immer das neueste Modell von Ihrem Anbieter geben lassen, kommen Sie so auf 50 kg CO2 pro Jahr, ohne dass Sie auch nur ein Mal damit telefoniert haben.
Der dritte große Posten sind die Rechenzentren, ohne deren Infrastruktur keine Internetleistungen möglich wären. Legt man den Energieverbrauch pro Nutzer zugrunde, der von der Bundesnetzagentur erhoben wird, kommt man so auf einen Durchschnittswert von 213 kg Emissionen pro Jahr.
Dies sind einige, aber im Grunde noch viel zu wenige Zahlen, die unseren enormen Datenhunger verdeutlichen. Noch nicht eingerechnet sind die immensen Daten, die Unternehmen für ihre ganzen Anwendungen benötigen (z.B. in der Forschung, für On-Demand-Prozesse oder für die Programme zur Mitarbeiterkommunikation und Telearbeit). Allein hier können wir bereits einen Hebel zur digitalen „Müllvermeidung“ ansetzen.
Das Problem: Es wissen zu wenige Nutzer von diesen Konsequenzen. Sie sind für einen selbst nicht wahrnehmbar und oft auch nicht eindeutig zu definieren, weil die exakten Werte von vielen individuellen Faktoren abhängen: mit welchem Strom mein Rechenzentrum betrieben wird, welche Suchmaschine ich nutze oder wie transparent die großen digitalen Player wie Apple, Google und Microsoft mit ihren Emissionen entlang von Scope 1 bis 3 umgehen (kleiner Spoiler: Das tun sie nicht gut).
Überwachungskapitalismus
Diese Überschrift erzeugt deutlich mehr Aufmerksamkeit als „fehlender Datenschutz“. Letzterer sorgt bei den meisten Menschen für Gähnen. Auch deshalb, weil der Begriff die Folgen nicht erahnen lässt, „Überwachsungskapitalismus“ hingegen schon.
In meinem Blogbeitrag zur nachhaltigen Website ließ ich Sie an folgendem Gedankenexperiment teilhaben: Ich bitte Sie, mich mal eben auf Ihren Rechner zu lassen. Sie können dabei weiter arbeiten, Mails schreiben oder Ihre Bankgeschäfte erledigen. Ich will mich nur mal ein bisschen bei Ihnen umsehen und einen Eindruck von Ihrem Leben und Ihren Vorlieben gewinnen, vielleicht ein paar Ideen für mein nächstes Business gewinnen, vielleicht an Ihnen ein paar Vertriebstools austesten. Keine Sorge: Sie werden absolut nichts von mir mitbekommen, versprochen! Uuund? Würden Sie mir Zugang gewähren? Wohl nicht! Warum gewähren Sie ihn dann Datenkraken wie Facebook und Google?
Ähnlich wie bei den Folgen des Energieverbrauchs sind vielen Usern die Konsequenzen fehlenden Datenschutzes nicht bewusst: „Ach, die wissen doch eh schon alles von mir“ oder „Ich habe nichts zu verbergen“ oder noch besser „Ich habe nie eine negative Erfahrung gemacht“. Das ist der Trick: Sie SOLLEN auch keine negativen Erfahrungen machen. Ganz im Gegenteil: Konzerne legen es darauf an, Ihnen die digitale Welt so komfortabel wie möglich einzurichten, damit Sie sich möglichst viel in ihr aufhalten.
Der Preis dafür ist, dass Sie nie wissen, in wessen Händen Ihre Gespräche, Ihr Gesicht, Ihre Stimme, die Kontakte aus Ihrem Telefonbuch landen. Kurze mediale Aufmerksamkeit erfährt der fehlende Datenschutz in Form von Cyberkriminalität, wenn Hacker Ihre Identität stehlen, Ihr Bankkonto plündern oder im besten Fall nur einen Facebook-Alias einrichten. In der Breite verläuft der Missbrauch Ihrer persönlichen Daten viel subtiler. Er geht Hand in Hand mit dem Verlust
Ihrer Datensouveränität, weil Ihr Persönlichstes an Drittanbieter verkauft wird, die Sie nicht kennen und denen Sie aktiv niemals Ihre Zustimmung dafür geben würden. Beim Besuch einer Nachrichtenseite im Internet registrieren im Hintergrund teilweise bis zu 60 Dritt-Anbieter, zumeist aus dem Online-Werbe-Umfeld, Ihren Besuch (mit Hilfe von Anti-Tracking-Tools kann man sich alle Drittanbieter anzeigen lassen, die beim Besuch einer Seite aktiv sind).
Ein prominentes Beispiel für den Überwachungskapitalismus ist die amerikanische Supermarktkette Walmart, die anhand des geänderten Kaufverhaltens ihrer Kundinnen eine Schwangerschaft frühzeitig identifizieren und entsprechende Werbeprospekte ins Haus senden konnte. Besonders pikant: Der Fall flog auf, weil ein wütender Vater die Glückwunsch-Werbung entdeckte, noch bevor seine Teenager-Tochter ihrer Familie von der Schwangerschaft erzählte. Den ganzen Fall können Sie hier nachlesen.
Das Beispiel Walmart ist aus drei Gründen hochspannend: Erstens, weil es krass ist, wie genau ein Händler veränderte Lebensumstände seiner Kunden identifizieren konnte, ohne sie persönlich zu kennen. Zweitens, weil sich dieser Fall 2012 ereignete und er eine Idee davon gibt, was heute, 12 Jahre später, mit KI alles möglich ist. 90 Prozent der heute verfügbaren Daten wurden in den letzten zwei Jahren erzeugt und Berechnungen zufolge wird sich das Datenvolumen zukünftig alle zwei Jahre verdoppeln. Und drittens, weil sich Walmart nach diesem „Fehler“ smartere Werbung ausdachte (Babyartikel wurden neben Rotwein angepriesen, um keinen Big Brother-Eindruck zu erwecken) und das wiederum ein Lehrstück für unser gesamtes Konsumverhalten ist: Wir merken nicht, wie wir manipuliert werden.
Asoziale Netzwerke
Wollen Unternehmen zukunftsfähig sein, müssen sie für sich Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit finden. Neben der ökologischen Transformation sind damit auch gesellschaftliche Fragestellungen gemeint. Viele Unternehmen haben dafür eine eigene CSR-Strategie (Corporate Social Responsibility). Sie wollen der Gesellschaft etwas zurückgeben.
Wollen digitale Monopole das auch? Sicher, Bill Gates spendet eine Menge Geld für wohltätige Zwecke, was er ohne sein Imperium nicht könnte. Eine CSR-Strategie ist das aber nicht, weil eine Strategie organisch mit dem Unternehmen verwoben ist. Es wird quasi dort aufgeräumt, wo der Müll anfällt und nicht an beliebiger anderer Stelle.
In diesem konkreten Fall würde also nicht in die Gesundheitsversorgung der Armen in Afrika investiert werden, sondern in den barrierefreien Zugang zum Internet oder in lizenzfreie Programme, die von den Nutzern selbst gepflegt und weiterentwickelt werden. Das wäre gemeinwohlorientiert.
Stattdessen wird der digitale Raum von singulären Wirtschaftsinteressen dominiert. Wir Nutzer halten uns täglich in diesem Raum auf, ohne die Hausregeln zu kennen oder selbst diesen Raum gestalten zu können.
Sozial nachhaltig ist, was zum Nutzen aller ist. Und das ist der digitale Raum leider nicht. Weder zahlen Monopolisten wie Meta oder Amazon Steuern, wie es „klassische“ Unternehmen tun, noch gelten für sie die gleichen Gesetze – die DSGVO beispielsweise interessiert Mark Zuckerberg herzlich wenig. Das Gleiche gilt für TikTok aus China. Sie interessieren sich auch nicht für freie Meinungsbildung, demokratische Aushandlungsprozesse, Chancengleichheit oder die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die Diskussionen rund um Fake News und manipulierte Wahlkämpfe auf Social Media sind nur ein Ausdruck davon.
Klar, könnten Sie sagen, dass Sie all die Social-Media-Plattformen sowie WhatsApp nicht nutzen. Für viele Menschen stellt dies aber ein erzwungenes Abwägen zwischen Autonomie und Teilhabe da, was – weil wir soziale Wesen sind – zu Lasten der eigenen Souveränität und damit des Gemeinwohls geht.
Ein ganz anderes Beispiel sind personalisierte Krankenversicherungen, die sich aus Ihren individuellen Gesundheitsdaten ergeben, die über Ihre Smart Watch oder Fitnessarmbänder gesammelt werden. Haben Sie gute Gene und leben gesund, profitieren Sie von günstigen Tarifen. Klingt gut – wenn Sie zu dieser Gruppe gehören. Eine solche Selektion widerspricht jedoch dem solidarischen Gemeinwohlgedanken. Denn die Vorteile datengetriebener Technologien sollten allen Menschen gleichermaßen zugutekommen. Wie unsere Gesellschaft das sicherstellen kann, ist überhaupt noch nicht klar, auch, weil politische Rahmenbedingungen fehlen.
Oftmals sind es aber auch die Daten selbst, die fehlerhaft sind: Zu den bekanntesten Fällen zählt eine in US-amerikanischen Justizverfahren eingesetzte Software, die die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftätern prognostizieren soll, dabei aber nachweislich Afro-Amerikaner diskriminiert, da bereits die Ausgangsdaten aus Polizeiquellen einen rassistischen Bias haben. Nur, wer soll das überprüfen, wenn der Algorithmus nicht nachvollziehbar ist? Genauso verhält es sich mit unserer Schufa-Auskunft, von deren intransparenten Scoring quasi jeder geschäftsfähige Deutsche abhängig ist.
Die drei größten Hebel für eine nachhaltige Digitalisierung
Sie fühlen sich nun vielleicht wie David gegen Goliath und fragen sich, wie sie gegen Tech-Riesen ankommen sollen. Wie Sie weiterhin die Vorteile der Digitalisierung nutzen können und wie Sie sich nicht als Sonderling von ihren Freunden abgrenzen.
In der Digitalisierung geht es mitunter zu wie im Wilden Westen – nur ohne Sheriff. Es stimmt, dass Politik wichtige gesetzliche Rahmenbedingungen, Regulierungen und Anreize setzen MUSS, um die digitale Welt transformativ zu gestalten. Wir wissen nur leider auch, dass Politik sehr langsam agiert und es oft das zivilgesellschaftliche Engagement braucht, um Dinge zu verändern. Dort setzen wir mit den folgenden drei Hebeln an.
Quelle: Lange, Santarius (2018): Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit. S. 150
In den folgenden Beiträgen sehen wir uns die drei Leitprinzipien digitale Suffizienz, konsequenter Datenschutz sowie Gemeinwohlorientierung genauer an. Neben tiefergehenden Beispielen lege ich meinen Fokus auf die Frage, was Nutzer im Sinne einer Verbraucherverantwortung konkret tun können. Das entlässt weder die Hersteller aus ihrer Verantwortung noch die Politik aus ihrer. Ich finde es aber wichtig zu verstehen, dass vieles in unserer eigenen Macht liegt. So wie wir in der analogen Welt faire Arbeitsbedingungen und eine gesunde Lebensweise herbeiführen können, so kann es uns auch in der digitalen Welt gelingen.