Ob beim Mittags-, Stamm- oder Familientisch: Was passiert, wenn Sie anfangen, über die Klimakrise oder den Verlust der Artenvielfalt zu sprechen? Erste Möglichkeit: Sie rennen offene Türen ein und es wird ein munteres Gespräch darüber, was wir tun könnten, um für unseren Planeten noch einmal die Kurve zu kriegen. Zweite Möglichkeit: Ihr Gesprächspartner fühlt sich herausgefordert, greift in die Schublade der Kontraargumente und Klimaausreden (zum dazugehören Blogbeitrag geht’s hier entlang) oder wirft einen schuldbewussten Blick auf seinen Teller mit dem Wiener Schnitzel.
Diskutieren wir außerhalb unserer eigenen ökologischen Bubble, ist der zweite Fall deutlich wahrscheinlicher. Genauso wie die anschließend miese Stimmung beim Gesprächspartner oder den weiteren Beteiligten. Wie kommen wir also so miteinander ins Gespräch, dass sich unser Gegenüber inspiriert und motiviert fühlt? Und nicht belehrt oder unter Druck gesetzt? Darum soll es in den nächsten Zeilen gehen.
Kennen Sie die Werte Ihres Publikums!
Die meisten Menschen kennen die wesentlichen Fakten um den menschengemachten Klimawandel. Nur: Wie Ihr Gegenüber diese Fakten für sich interpretiert, entscheidet maßgeblich darüber, ob aus dem Wissen auch ein Handeln wird. Fragen Sie sich, welche Fakten einen Wert für den anderen Menschen besitzen und unterscheiden Sie die relevanten von den unrelevanten: Was ist der Reason why für den anderen?
Dieser Reason why muss überhaupt nicht mit Ihrem übereinstimmen. Der Amazonas interessiert nicht? Dann ist das Thema Abholzung egal. Wie die Bauern in Afrika über die Runden kommen, juckt mich nicht, weil ich meine eigenen Probleme habe? Dann sollten wir nicht mit Fair Trade um die Ecke kommen. In Frankreich erreichte man viele Rentner damit, dass sie wegen der starken Hitze nicht mehr wie früher am milden Atlantik ihren Ruhestand genießen können. Statt einer kreislauffördernden kühlen Brise weht ihnen jetzt heiße Fönluft ins Gesicht. Über den Klimawandel haben sie nie nachgedacht. Nun haben sie ihr Reason why. Genauso wie das Tourismusgewerbe, das rückläufige Besucherzahlen befürchtet.
Wie finde ich heraus, welche Werte mein Gegenüber hat? Ich stelle Ihnen zwei Möglichkeiten vor, die bei mir gut funktionieren. Die eine ist akademisch, die andere ganz praktisch. Beide zusammen geben mir eine wertvolle Orientierung. Und vielleicht auch Ihnen.
More in common – was uns gesellschaftlich zusammenhält
Eine Gesellschaft, in der die Menschen spüren, dass sie mehr gemeinsam haben als dass sie trennt. Mit dieser Vision forscht die gemeinnützige Organisation More in Common über die Werte in unserer Gesellschaft. Herausgekommen sind 6 Grundperspektiven, die sich ungefähr gleich in der Gesellschaft verteilen und erstaunliche Ähnlichkeiten zu unserem Parteienspektrum aufweisen.
Interessant ist der Ansatz, weil er sich zum einen nicht auf äußerliche Faktoren wie Einkommen oder Region bezieht (im Vergleich zu den gängigen Milieustudien) und weil er zum anderen eine wichtige kommunikative Lektion widerspiegelt: Argumentieren Sie nicht auf der politischen Ebene, sondern auf der Werteebene! Bei einem Konflikt zwischen Fakten und Werten werden die Fakten verlieren. Immer. Nur, wenn wir zugestehen, dass unser Gegenüber eine WERTvolle Perspektive besitzt und die Mischung all unserer Perspektiven unsere demokratische Gesellschaft formt, können wir möglichst viele Menschen in unserer Gesellschaft mitnehmen.
16 % der Bevölkerung
Die Offenen sind der zweitjüngste Typ in der deutschen Gesellschaft. Sie ziehen ihr Lebensgefühl aus der freien Entfaltung des Einzelnen in einer vielfältigen, offenen und nachhaltigen Gesellschaft und hinterfragen traditionelle Denkweisen besonders kritisch.
Einstellungen und Erwartungen
Sie denken in jeder Hinsicht antiautoritär, schätzen Freiheit und lehnen dafür Hierarchie, Gehorsam und bedingungslose Loyalität ab. Ihre persönliche Identität kommt weitgehend ohne althergebrachte Gruppenbezüge aus, vor allem die eigene Nationalität stellt man hintenan. Hingegen definiert man sich vergleichsweise stark über den eigenen (hohen) Bildungsgrad und die politischen Überzeugungen.
Hinsichtlich des eigenen Lebens ist das Glas für die Offenen halb voll. Zwar ist man eigentlich nur leicht überdurchschnittlich zufrieden mit der eigenen Lage, hat aber ausgesprochen großen Zukunftsoptimismus und rechnet oft mit Aufstieg und persönlichem Fortkommen. Das soziale Umfeld ist in der Tendenz intakt. Man fühlt sich gut eingebunden und wertgeschätzt.
Blick auf die deutsche Gesellschaft
Sofern man Stolz auf das eigene Land überhaupt als legitimes Gefühl zulässt, beruft man sich auf demokratische und rechtsstaatliche Errungenschaften, die NS-Aufarbeitung sowie auf progressive Motive wie die Aufnahme von Asylbewerbern. Ohnehin fühlt man sich meist mindestens so europäisch wie deutsch. Gesellschaftlichen Wandel begrüßt man ausdrücklich.
Viele der Offenen positionieren sich im politischen Spektrum links. Sie sind politisch eher interessiert, als mündige Bürger mit der repräsentativen Demokratie weitgehend im Reinen und fühlen sich insbesondere der Zivilgesellschaft verbunden.
Zugleich blickt man mit Vorsicht auf die derzeitige Entwicklung des Landes. Man fürchtet zunehmende Ausländerfeindlichkeit und sieht autoritäre Bedrohungspotenziale für die Demokratie und die offene Gesellschaft. Passend zu ihrem pluralistischen Gesellschaftsverständnis setzen die Offenen auf friedlichen Meinungsaustausch sowie Kompromiss- und Diskursfähigkeit, haben aber stärker als andere Vorstellungen davon, was sagbar ist und was nicht, um Minderheiten vor Diskriminierung zu schützen.
Die Offenen sind häufiger in West- als in Ostdeutschland wohnhaft. Ihr Bildungsniveau ist das höchste aller Typen, vor allem Akademiker sind weit überrepräsentiert. Sie verteilen sich recht gleichmäßig über Stadt und Land, mit nur leicht urbaner Tendenz. Obwohl ihr subjektiver Sozialstatus insgesamt recht ausgeglichen ist, verfügen die Offenen über den höchsten Anteil an Spitzenverdienern.
17 % der Bevölkerung
Charakteristisch für die Involvierten ist vor allem ihr großer Glaube an das bürgerschaftliche Potenzial der Menschen in der Bundesrepublik, ihr demokratisches Selbstbewusstsein und ihre Zuversicht, dass ein lebendiges Miteinander in einer modernen Gesellschaft möglich ist.
Blick auf die deutsche Gesellschaft
Die Involvierten identifizieren sich mehr als andere mit den gewachsenen Errungenschaften des freien und sozialen Rechtsstaats. Sie stehen hinter der repräsentativen Demokratie und schätzen ihre Institutionen genauso wie eine vielfältige Zivilgesellschaft. Von „starken Männern“ halten sie dagegen nicht viel. Als überzeugte und interessierte Demokraten suchen sie häufiger als andere das politische Gespräch.
Gesellschaftlicher Wandel ist für sie ein natürlicher und zu gestaltender Prozess, der sie nicht verängstigt. Ihre Erwartung für die kommenden Jahre ist daher positiv, aber zugleich von stetigem Nachdenken über Herausforderungen entlang des Weges geprägt.
Einstellungen und Erwartungen
Die Involvierten denken weitgehend anti-autoritär, bestehen aber auf Verbindlichkeit und Respekt. Für ihr Selbstbild kommen sie Großteils ohne traditionelle und gruppenbezogene Fixpunkte aus, für sie ist es auch kein Widerspruch, sich zugleich deutsch und europäisch zu fühlen. Das Deutschland, auf das sie stolz sein können, ist fest in Europa verankert und steht zu seiner Verantwortung nach innen und außen, indem es sich z.B. kritisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzt und Hilfesuchenden Schutz bietet. Menschenfeindlichkeit und Ressentiment lehnen die Involvierten entschieden ab. Politisch haben sie ein gemäßigt progressives Profil.
Mit ihrem persönlichen Leben sind die Involvierten in großem Maße zufrieden. Abstiegsängste sind kaum Thema, man hat das Schicksal selbst in der Hand. Auf der Habenseite kommt hinzu, dass sie ihren Mitmenschen stärker vertrauen können und wollen als alle anderen gesellschaftliche Typen. Sie sind in sehr hohem Maße eingebunden, fühlen sich nahezu geschlossen sicher, wohl und wertgeschätzt.
Dieses intakte Bild aus dem sozialen Nahbereich wünschen sich die Involvierten auch für die gesellschaftliche Ebene. Sie betonen stark die Notwendigkeit von Zusammenhalt und Kompromissfähigkeit und sind besonders sensibel gegenüber Hass und Feindseligkeit. Ihr bürgerschaftliches Ideal lebt von funktionierenden und konstruktiven Debatten.
17 % der Bevölkerung
Die Etablierten haben mit Abstand das höchste Alter der sechs gesellschaftlichen Typen und stechen vor allem durch ihre große Zufriedenheit heraus. Sie haben einen nahezu ungetrübten Blick auf die eigene Lebenswirklichkeit und ungebrochenes Zutrauen in das Gemeinwesen und seine Institutionen.
Blick auf die deutsche Gesellschaft
Aus ihrer Perspektive ist Deutschland weiterhin in die richtige Richtung unterwegs und sie erwarten auch für die nächsten Jahre wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität.
Die Etablierten sind weitgehend zuversichtlich, dass Politik und Zivilgesellschaft ihre Arbeit ordentlich machen, auf Bürgerinnen und Bürger hören und gute Ergebnisse produzieren. Sie interessieren sich mehr als andere für Politik und finden sich in den Kategorien des Parteienwettstreits sehr gut zurecht. Ideologisch stehen die Etablierten deutlich in der Mitte des politischen Spektrums, auch wenn sie ansonsten eher wertkonservativ sind.
Auf ihr Land sind die Etablierten unumwunden stolz. Eine breite Mischung aus eher kulturell-konservativen, sozialen, wirtschaftlichen und progressiven Identifikationspunkten bildet die Grundlage für ihr äußerst positives Deutschlandbild. Auch ihre eigene persönliche Identität ist stabil: man schöpft Selbstbewusstsein aus den verschiedensten Quellen und Zugehörigkeiten, im Vergleich zu anderen besonders stark aus Nationalität und Religion.
Einstellungen und Erwartungen
Moralische Grundsätze sind für die Etablierten äußerst wichtig, denn das Miteinander der Menschen soll anständig ablaufen. Aus alter Schule neigt man zu weitgehend autoritären Einstellungen in Erziehungsfragen, ist aber deshalb nicht menschenfeindlicher als andere. Allerdings hält man vermehrt das heutige Ausmaß von Political Correctness für übertrieben.
In ihrem persönlichen Leben kommen die Etablierten bestens zurecht. Man lebt komfortabel, weiß, dass man zur oberen Gesellschaftshälfte gehört, rechnet mit einer stabilen oder gar noch besseren Zukunft und hat sein Leben weitgehend unter Kontrolle. In ihrem Umfeld fühlen sie sich bestens aufgehoben. Man weiß, wo man hingehört und wem man vertraut.
In diesem Sinne glauben die Etablierten auch innerhalb der Gesellschaft an die Möglichkeit von Ausgleich und Zusammenhalt. Sie sind davon überzeugt, dass Bürgerinnen und Bürger gesellschaftliche Handlungsmacht und Eigenverantwortlichkeit haben, und es liegt ihnen am Herzen, dass Menschen trotz aller Unterschiede auch weiterhin zusammenfinden.
16 % der Bevölkerung
Die Pragmatischen sind die jüngsten der sechs gesellschaftlichen Typen und denken weniger als andere in Werten und moralischen Grundsätzen. Sie haben schwächere Identitätsanker und treten dem Gemeinwesen mit einer gewissen normativen Vagheit gegenüber.
Blick auf die deutsche Gesellschaft
Ihr Blick auf die Gesellschaft ist in erster Linie nutzenorientiert. Ihr ideales Deutschland soll erfolgreich, modern und selbstbewusst sein, um den Menschen gute Ausgangsbedingungen für ihr persönliches Fortkommen zu bieten. Dazu passt, dass sie kaum Aspekte des Landes finden, auf die sie besonders stolz sein können.
Entsprechend haben die Pragmatischen auch kein emotionales, sondern ein eher funktionales Verhältnis zum politischen System. Man hofft darauf, dass es gute Rahmenbedingungen und Ergebnisse liefert, während man sich selbst nur wenig aktiv für demokratische Prozesse interessiert. Man fremdelt mit den traditionellen Kategorien des politischen Spektrums und ist politisch nicht wirklich nach links oder rechts orientiert.
Zugleich bietet ihre wahrgenommene Lebenswirklichkeit durchaus Ansatzpunkte für politische Gestaltungsfragen. So fühlen sich die Pragmatischen nicht unbedingt in Kontrolle über ihr Leben: Zukunftsfragen wie die Digitalisierung verunsichern, man sieht gesteigerten Handlungsbedarf besonders in praktischen Politikbereichen wie der Lohn- und der Familienpolitik.
Auch die soziale und kulturelle Einbindung der Pragmatischen ist bestenfalls durchwachsen: Sie haben am seltensten ein intaktes Umfeld, Gefühle von Einsamkeit sind weit verbreitet. Die jungen Menschen, von denen viele Migrationshintergrund besitzen, wissen zudem am seltensten, wo sie zuhause sind bzw. hingehören. Ihre Identität schwankt zwischen deutsch und europäisch. Man fühlt sich zudem häufig von anderen verachtet.
Einstellungen und Erwartungen
Aus der beschriebenen Norm- und Gesellschaftsferne folgt zuletzt auch ein distanzierter Blick auf Fragen des Zusammenhalts. Man glaubt seltener an die guten Absichten der allermeisten Menschen und hat keine ausgeprägte Sensibilität für die Bedeutung von Ausgleich und Kompromiss.
Die Pragmatischen verorten sich häufig auf einem mittleren Status innerhalb der Gesellschaft. Auch ihr Bildungsprofil ist in der Tendenz durchschnittlich. Als jüngster Typ sind sie besonders häufig vollzeiterwerbstätig.
14 % der Bevölkerung
Die Enttäuschten sind der gesellschaftliche Typ, der derzeit in der deutschen Gesellschaft am wenigsten positiven Halt findet. Der Blick auf die persönliche Lage ist oftmals von Entbehrung und Abstiegsangst geprägt, der Glaube an die Kontrolle über das eigene Leben sehr schwach.
Auch in ihrem menschlichen Umfeld fehlt es den Enttäuschten an Einbindung und Wertschätzung. Das Gefühl, einsam zu sein, ist sehr weit verbreitet. Darunter leidet ihr Sozialvertrauen. Die Enttäuschten unterstellen vielen Egoismus und ziehen darum auch jede Chance auf echten gesellschaftlichen Zusammenhalt in Zweifel.
Dies setzt sich bei der Einschätzung der eigenen Identität fort. Alle Bezugspunkte, die bei anderen starke Identitätswirkung entfalten (wie etwa Generation, soziale Schicht, Nationalität, Beruf), haben bei den Enttäuschten deutlich weniger Bedeutung. Auch religiöse Bindungen sind bei ihnen deutlich schwächer als beim Rest der Bevölkerung.
Blick auf die deutsche Gesellschaft
Auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene wünschen sich die Enttäuschten in erster Linie ein gerechtes Land. Man möchte auf ein verlässliches Gemeinwesen zählen können. Diese Erwartung wird jedoch nicht bedient. Man fühlt sich von der Politik überhört, nicht gesehen, vernachlässigt und in Sachen Kriminalität unzureichend geschützt. So sieht man das Land fast einhellig auf dem Weg in die falsche Richtung. Entsprechend fällt die Demokratiezufriedenheit sehr gering aus. Man bringt sich kaum politisch ein und kann mit dem Parteienwettbewerb meist nichts anfangen.
Einstellungen und Erwartungen
Angesichts der eigenen Unzufriedenheit tut man sich schwer, nach außen offen zu sein. Zwar sind die Enttäuschten nicht exzessiv autoritär, fühlen sich aber durch die Weltläufe bedroht. Man denkt eher in den Grenzen des Nationalstaats, fühlt sich eher deutsch als europäisch. Gegenüber neuen kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen bleibt man reserviert und moniert, dass Minderheiten und Migranten gegenüber der Mehrheitsbevölkerung bevorzugt würden, während man selbst für seine (meist niedrige) soziale Schicht sowie die (meist gering entlohnte) Arbeit und die (häufig einfachere) Bildung verachtet werde.
19 % der Bevölkerung
Die Wütenden gehen am heftigsten mit dem derzeitigen Zustand der deutschen Gesellschaft ins Gericht. Pessimismus, Empörung und massive Unzufriedenheit prägen fast ausnahmslos ihren Blick auf die Politik und das gesellschaftliche Miteinander.
Blick auf die deutsche Gesellschaft
Ihr Ideal eines nationalen und zum Wohle des Volkes halb autoritär, halb plebiszitär geführten Landes wird in ihren Augen durch eine abgehobene politische und mediale Elite durchkreuzt, die sich in multikulturellen Fantasien verirrt.
Die Wütenden beklagen, dass sich die Politik grundsätzlich um Neuankömmlinge und Minderheiten mehr kümmere als um die „eigenen Leute“ in der Mehrheitsbevölkerung. Nicht zuletzt deshalb fühlen sich die Wütenden fast geschlossen fremd im eigenen Land. Sie empfinden am häufigsten Bedrohungsgefühle und dass die Welt zu einem immer gefährlicheren Ort wird. Mit der derzeitigen Demokratie sind sie im höchsten Maße unzufrieden, Medien und Institutionen trauen sie nicht. Political Correctness wird ihres Erachtens völlig übertrieben und diene ihrer Ansicht nach dazu, das Volk mundtot zu machen.
Einstellungen und Erwartungen
Zugleich wissen die Wütenden sehr genau, wer sie sind und was sie wollen. Sie berufen sich sehr stark auf ihre Identität und finden dafür unterschiedliche Anknüpfungspunkte (u.a. Nationalität, Generation, politische Auffassungen, Geschlecht). Sie wissen außerdem sehr gut, wo sie sich zu Hause fühlen.
Ungeachtet ihrer Schelte des politischen Systems interessieren sie sich häufig mit großem Nachdruck für Politik und können sich im ideologischen Spektrum klar verorten. Häufiger als andere stehen sie deutlich rechts. Um ihren Ansichten Geltung zu verschaffen, setzen sie auf Durchsetzung und Kompromisslosigkeit. Im Gegenzug neigen sie dazu, andere Gruppen, wie Flüchtlinge und Muslime, stark abzuwerten. Fast geschlossen sind sie der Meinung, dass der Islam und die deutsche Gesellschaft nicht miteinander vereinbar sind.
Mit dem eigenen Leben ist man häufiger als andere unzufrieden, fühlt sich in seinem Alltag fremdbestimmt und blickt skeptisch auf die nächsten Jahre. Gegenüber den Mitmenschen sind die Wütenden skeptischer als alle anderen Typen. Ihr Sozialvertrauen ist sehr gering. Sie beklagen mangelnde soziale Einbindung und menschliche Wertschätzung. Obwohl ihre Einkommen weitgehend im Durchschnitt liegen, neigen sie eher dazu, sich in der unteren Gesellschaftshälfte zu verorten.
More in Common: https://www.dieandereteilung.de/die-6-typen/
Typentest: https://www.dieandereteilung.de/das-quiz/
Warum ist diese wertorientierte Betrachtung wichtig? Wenn aus der wissenschaftlichen Realität eine soziale wird, spielen Temperatursteigungen oder Versauerungen eine untergeordnete Rolle. Sie müssen deshalb die soziale Realität des anderen kennen. Manchen Politikern wird vorgeworfen, dass sie die soziale Realität ihrer Bürger eben nicht kennen würden, weshalb diese an der Wahlurne mit den Füßen abstimmen. Egal wie wichtig uns Tierwohl oder unabhängige Energieversorgung sind: Die „Dreifaltigkeit“ der Nachhaltigkeit besteht aus einer Balance aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Wir gewinnen nichts, wenn wir nur eine Seite supporten und die beiden anderen vernachlässigen.
Womit ich zum zweiten Essential für eine wirkungsvolle Klimakommunikation komme: Reden ist Silber, Zuhören Gold.
Zuhören ist wichtiger als Reden, Empfangen wichtiger als Senden
Lernen Sie Ihr Gegenüber kennen. Stecken Sie das Feld ab und fragen Sie ihn, was er liebt oder worum er sich sorgt. Es spricht nichts dagegen, dass Sie mit ihm ein Thema teilen, das Ihnen am Herzen liegt – sofern er sich damit identifizieren kann.
Letztens habe ich auf einer Veranstaltung eine ältere Dame kennengelernt, der die Klimadiskussion gehörig auf den Keks geht. Ich wusste, dass sie einen Garten hat, in dem sie gerne werkelt. Weil ich das auch tue, sprachen wir über die Verschiebung der Vegetationsperioden und sie erzählte mir, wie in den letzten Jahren der Walnussbaum immer wieder wegen plötzlichen Spätfrosts all seine Knospen (und damit Walnüsse) verlor und dass sie solche Kapriolen von früher nicht kenne. Die Vegetationsperioden waren auch ein guter Aufhänger für einen Allergiker, der darunter leidet, dass blühende Bäume und Gräser ihn immer früher peinigen.
Mit konkreten Beispielen wie diesen machen Sie anschaulich, welches Risiko der Klimawandel für den anderen haben kann. Er wird relevant, weil er etwas bedroht, das für den anderen von Wert ist. Bei Älteren oder Gesundheitsbewussten können es Hitzewellen oder Allergien sein. Bei Vertretern aus der Wirtschaft können Sie die Nachrichten zitieren, die darüber berichteten, wie Frachter im Panamakanal stecken bleiben, weil der Kanal nicht mehr genügend Wasser für die Schleusen führt, was zu Lieferverzögerungen und damit ökonomischen Risiken führt. Bei Bauern oder einem Publikum aus der Landwirtschaft rennen Sie mit Dürreperioden und Ernteausfällen wegen starker Unwetter offene Türen ein.
Was immer Sie sagen: Greifen Sie die Beispiele auf, die nah am (Er-)Leben Ihres Gegenüber sind.
Wie immer Sie es sagen: Sagen Sie es so konkret und verständlich wie möglich.
Rede Sie über Klimahandeln und nicht über Klimawandel
Wir sind lange nicht so smart wie wir glauben. Unser Gehirn steckt noch immer im Urwald fest und sucht lieber die schnelle, dafür kleinere Belohnung, anstatt auf eine größere in weiter Zukunft zu warten (und auch sonst tricksen wir uns mit ziemlich vielen Denkfehlern und Bias aus, von denen ich die gängigsten in diesem Blogbeitrag vorstelle). Deshalb reden sich Wissenschaftler auch seit den 1970ern den Mund fusselig und müssen Politiker zum Jagen tragen. Ändern können Sie und ich diesen Konstruktionsfehler leider nicht, aber das Beste aus ihm machen.
Gemeinsam mit einem Kunden und einer Werbeagentur konzipierte ich eine Bürgerkampagne, die den Nutzen erneuerbarer Energien in den Fokus rückt. „Was bringt’s mir“ machte die Lösungen konkret: Beteiligung an einem Bürger-Windpark zum Beispiel oder Gelingengsgeschichten aus Kommunen und von Unternehmen. Das Ziel: Der schweigenden Mehrheit, die nicht gegen Erneuerbare Energien ist, das Thema für sich aber nicht richtig greifen kann, einen konkreten Mehrwert anbieten. Ein schönes Beispiel für die nachhaltige Dreifaltigkeit, von der ich vorhin sprach, sind die kommunalen Einnahmen durch Windenergie, die für den Erhalt des Schwimmbads oder die Sanierung der KITA genutzt werden. Da kommen Ökologie, Ökonomie und Soziales zusammen und alle gewinnen. Egal, was es ist, betonen Sie die positiven Nebeneffekte. Das sind Quick Wins für unser „Reptilienhirn“.
Die eigene Geschichte kann ebenfalls zum Handeln animieren. Sprechen Sie über Ihren ganz persönlichen Aha-Moment, der Ihre Einstellung geändert hat. Meine Nachbarn erzählen zum Beispiel davon, warum sie ihr Auto abgeschafft haben – bei drei kleinen Kindern! – und wie sie ihren Alltag mit zwei Lastenrädern meistern. Respekt! Die meisten Paare machen es andersherum und kaufen sich ein Auto, wenn Kind Nummer 1 unterwegs ist.
Noch mehr Geschichten sammelt die Initiative von Arnold Schwarzenegger. Nach dem Motto weniger reden, mehr handeln stellen sich auf seiner Website Best Practices aus insgesamt 12 Kategorien vor. Hier werden Sie bestimmt fündig, wenn Sie nach guten Geschichten aus den Bereichen Mode, Finance, Stadtentwicklung oder Gesundheit suchen.
Dann heißt es, am Ball bleiben ohne zu nerven. Ihr Gegenüber reagiert offen, ist aber noch unsicher? Entlocken Sie ihm eine Zusage für die nahe Zukunft: „Ich frage dich in drei Monaten nochmal.“ Wichtig ist der Aussagesatz, kein Fragesatz.
Und wenn die ersten Schritte gegangen sind: Feiern Sie die Erfolge! Auch wenn sie aus Ihrer Sicht popelig sind. Denken Sie an unser Reptilienhirn, das sich die schnelle Belohnung wünscht. Das muss Sie nicht davon abhalten, weiter im Gespräch zu bleiben.
Bildung für nachhaltige Entwicklung
Nachdem ich mich darüber ausgelassen habe, dass es in erster Linie nicht auf das Faktenwissen ankommt, um andere zu überzeugen, wird es ganz ohne aber auch nicht gehen. Denn um ins Klimahandeln zu kommen, muss ich erstens einmal wissen, was ich überhaupt tun kann und zweitens einschätzen können, ob das, was ich tue, auch einen Impact, also einen merklichen Effekt hat. Beide Komponenten sind gekoppelt. Wenn ich nicht weiß, wo ich konkret anfangen soll, dann kann ich mir auch keine Wirkung ausmalen.
Hier kommt Bildung für nachhaltige Entwicklung, kurz BNE, ins Spiel. Ich persönlich mag auch den Begriff der Sustainability Literacy, also die Nachhaltigkeitskompetenz. Der Begriff Literacy bedeutet Alphabetisierung und trifft für mich das Grundverständnis sehr gut: So wie wir Lesen und Schreiben können müssen, gehört auch die Nachhaltigkeit zu einer basalen Kulturtechnik, ohne die unsere Kultur über kurz oder lang gegen die Wand fahren wird.
Mein Anteil an dieser Kulturtechnik ist, dass ich sie weitergebe. Wie in diesem Blog. Ich konzipiere interne und externe Kommunikationskampagnen, gebe Workshops zu ESG, Berichterstattung und Narrativen (dazu folgt ein eigener Beitrag) und habe viele Jahre lang ein Schulprojekt der Frankfurter IHK konzipiert und umgesetzt. Nachhaltigkeitsenthusiasten wie ich sind für Sie da! Also fragen Sie uns, treten Sie einem Verband bei und saugen Sie Honig an dem Wissen anderer. Wir sind alle Lernende und profitieren voneinander!
Wenn’s doch mal hart auf hart kommt
Nicht immer lässt sich ein Gespräch steuern. Und manchmal finden Sie sich mitten in einer Klimadebatte wieder, die Sie gar nicht angezettelt haben. Spätestens jetzt zahlt sich Hintergrundwissen aus, um Diskussionen nicht in eine falsche Richtung laufen zu lassen. Hier mal zwei Beispiele, in welche Richtung es laufen könnte:
Beispiel Atomkraft
Dass in Frankreich verhältnismäßig viele Atomkraftwerke stehen, verdankt das Land vor allem ihrer militärischen Bedeutung. Als einzige europäische Atommacht neben Großbritannien subventionierte und vergünstige der Staat massiv den Ausbau. Würde hier „der Markt“ alles regeln, wie in Deutschland immer wieder gefordert wird, gäbe es viele der Reaktoren längst nicht mehr. Das Problem realisieren unsere Nachbarn auch zunehmend, die sich den teuren Unterhalt nicht mehr leisten können (wollen) und die Kohlekraft hochfahren. Deutschland und Frankreich sind sich in der Hinsicht ähnlich, dass beide Länder eine politische Entscheidung über ihre Energieversorgung getroffen haben, sie sich anfangs überhaupt nicht rechnet. Die Langfristperspektive wird zeigen, welche ordnungspolitische Entscheidung ist richtige war.
Beispiel Klimaskepsis
Zeugt das erste Beispiel von Unkenntnis, dem Sie mit Wissen begegnen können, bewegen wir uns hier schon mehr in Richtung Leugnung bzw. Verweigerung. Es gibt noch immer genügend Entscheider, die an den wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel und Artensterben zweifeln. Die Prognosen seien nicht eindeutig, die Wissenschaft sei sich ja selbst uneins, Warm- und Kaltwetterperioden hätte es schon immer gegeben usw. usw. Die ganze Systematik ist hier ausführlich beschrieben.
Stopp! Unterscheiden zwischen einer Wissenslücke und einer Hinhaltetaktik, um nicht ins Handeln kommen zu müssen. Handelt es sich um eine Wissenslücke, verweise ich auf einen Artikel aus der NZZ, in dem Wissenschaftler die gängigen Fragen beantwortet haben und mit dem Sie sich „wappnen“ können:
- Argument 1: Es gab schon immer Warm- und Kaltzeiten.
- Argument 2: Der Klimawandel ist nicht menschengemacht.
- Argument 3: CO2 ist nicht für die Erderwärmung verantwortlich.
- Argument 4: Extreme Wetterereignisse nehmen weder zu, noch sind sie ein Beleg für den Klimawandel.
- Argument 5: Der CO2-Ausstoss der Schweiz ist sowieso minimal.
- Argument 6: Nicht einmal die Wissenschaft ist sich sicher.
Pocht Ihr Gegenüber hingegen immer wieder auf den Faktenaspekt, kontere ich gerne mit einem Vergleich, den ich auch bei hartgenossenen Impfverweigerern gern angebracht habe: Jedes Verhütungsmittel ist nicht zu 100 Prozent sicher. Dennoch würde deshalb niemand von uns auf die schönste Nebensache der Welt verzichten 😉.
Merke: Ungewissheit ist ein Fakt. Und Fakten sind ungewiss.
Wer sicheres Wissen einfordert, um sich zum Handeln zu entscheiden, entscheidet sich oft, nicht zu handeln.
Mythen kontern
Wir kommen zum Ausgang des Beitrags zurück und versetzen uns in eine gesellige Runde. Ihr Gegenüber kommt mit den oben beschriebenen Mythen und gefährlichem Halbwissen um die Ecke und die anderen Mitglieder am Tisch verfolgen die Diskussion gebannt. In solch einer Situation geht es NICHT darum, etwas zu erklären (Beispiel Atomkraft). Es geht darum, die anderen Unbeteiligten für sich zu gewinnen und dafür zu sorgen, dass der Keim des Zweifels, den ihr Gegenüber säht, nicht verfängt und aufgeht.
Sie könnten zum Beispiel sagen: „Ich weiß zwar nicht, woher Sie Ihre Informationen haben, denn sie widersprechen gänzlich dem weltweiten Konsens in der Klimaforschung (… dass die Menschheit für den belegten und gefährlichen Klimawandel verantwortlich ist / … dass wir ohne Insekten nicht überlebensfähig sind / … dass ein Tempolimit einen signifikanten Beitrag zu mehr Umweltschutz leistet), aber ich komme später sehr gern mit detaillierten Informationen auf Sie zu und wir diskutieren das.“
Was ist passiert? Sie sind nicht inhaltlich eingestiegen, was einfach nur einen gegenseitigen Schlagabtausch in Gang gesetzt hätte und haben Ihren Gegenüber den Wind aus den Segeln genommen, indem Sie ihn aus der Situation rausgenommen haben. Agieren, nicht reagieren, und mit einem eigenen Bedeutungsrahmen versehen. Machen Sie anschließend mit etwas Positivem weiter oder mit den für die anderen Beteiligten spannenden Wertefragen.
Kommunikationspsychologie für die Westentasche
Zu guter Letzt eine praktische Handreichung. Ich schrieb bereits, dass das Wie in der Klimakommunikation entscheidender sein kann als das Was. Genau damit haben sich auch die Kollegen von Psychologist for Future befasst und einen Spickzettel mit wichtigen Basics für eine wirkungsvolle Klimakommunikation herausgegeben. Darin gliedern sie die Gesprächssituation in die vier Abschnitte Rahmenbedingungen, Gesprächseinstieg, Gesprächsverlauf und nach dem Gespräch.
Und wer richtig tief einsteigen möchte, kann gern die 400-seitige Lektüre Über Klima sprechen von Christoph Schrader inhalieren. Eine wahre Fundgrube an Studien und praktischen Tools, deren Wirksamkeit ich durch meine Arbeit bestätigen kann, weshalb ich das ein oder andere Beispiel auch in diesen Artikel aufgenommen habe. So wie dieses Essential, dass bei Ihnen hoffentlich genau auf der Ebene wirkt, wo wir mit Klimakommunikation hinwollen:
vom Aussprechen unwillkommener Botschaften …
… zur Teilnahme an schwierigen Dialogen
vom Übermitteln wissenschaftlicher Ergebnisse …
… zum Knüpfen einer menschlichen Verbindung
von der Annahme, wir sprächen den Verstand an …
… zur Absicht, das Herz einzubeziehen
vom Verkünden schlechter Nachrichten …
… zur Einladung auf eine emotionale Reise
vom Auslösen eines Kampf-oder-Flucht-Reflexes …
… zur Motivation für aktives Engagement
Im nächsten Blogeitrag wird es darum gehen, wie wir Nachhaltigkeit in die Organisation bringen. Besonders die werteorientierte Kommunikation wird uns dort wieder begegnen.