Innere Widersprüche: wie lästig und gemein. Da kauft man schon im Biomarkt ein und fährt halt mit dem Auto dorthin. Da steigen wir vom Auto aufs E-Bike um und gönnen uns von dem Ersparten eine Flugreise. Andere machen’s auch nicht besser! Das Leben ist kompliziert!
Ein tiefer Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit zieht sich durch unser Leben. Befragt man Menschen, ob sie bereit wären, für umweltverträgliche Lebensmittel mehr zu bezahlen, sagen die meisten von ihnen „ja“. Wir wissen aus der Konsumforschung, dass die Sprache an der Kasse ganz anders aussieht. Genauso verhält es sich mit den meisten anderen Dingen, die wir kaufen, essen, wählen oder tun. In diesem Graben gedeihen sie besonders gut: die Ausreden. Sie schützen das eigene Gewissen und damit die eigenen Werte vor den lästigen inneren Widersprüchen. Diese wiederum resultieren oft aus Denkfehlern, die uns nicht bewusst sind, weshalb wir die Widersprüche nicht gut aushalten und Ausreden erfinden.
So geht es auch den anderen Menschen, die mit uns in diesem Graben sitzen. Je mehr es von ihnen gibt, desto besser für uns. Dann stellen sich nämlich gleich noch andere vor die eigene Ausrede und schon fühlt man sich durch die eigene Bubble bestätigt! Schwer, aus der Nummer wieder rauszukommen.
Oft hilft es, einen Schritt zurück zu treten und von außen auf die eigene Kommunikation und die der anderen zu achten.
Ja, aber … – typische Klimaausreden
Dr. William F. Lamb und seine Kollegen aus Cambridge haben diesen Schritt zurück getan und identifizierten dabei vier Grundformen der Ausreden mit jeweils zwei bis vier Subtypen. Welche kommen Ihnen bekannt vor 😉?
Jemand anderes soll zuerst handeln: Verantwortung weitergeben
- Auf andere zeigen: „Unser CO2-Ausstoß ist winzig im Vergleich zu China. Bevor China nichts macht, ist unser Handeln wirkungslos.“
- Individualismus: „Jeder Einzelne und jeder Konsument ist selbst dafür verantwortlich, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen.“
- Die Trittbrettfahrer-Entschuldigung: „Wenn wir unsere Emissionen senken, schwächen wir uns nur selbst. Andere Länder werden nicht mitmachen und uns dann überholen.“
Es ist unmöglich, den Klimawandel abzumildern: vorschnell kapitulieren
- Untergangshysterie: „Egal, was wir tun – die Klimakatastrophe ist unvermeidbar. Wir sollten uns darauf einstellen und unser Schicksal demütig in die Hände Gottes oder Mutter Natur legen.“
- Veränderung ist unmöglich: „Jede Maßnahme, Emissionen effektiv zu senken, ginge gegen unsere heutige Lebensweise und die menschliche Natur und ist deshalb in einer demokratischen Gesellschaft nicht durchsetzbar.“
Veränderung wäre zu disruptiv: die Nachteile betonen
- Politischer Perfektionismus: „Wir sollten nach den besten Lösungen suchen, damit sie von allen Parteien unterstützt werden. Sonst riskieren wir die noch vorhandene breite Akzeptanz.“
- Berufung auf das Wohl der Anderen: „Fossile Energieträger bringen Wohlstand. Werden sie verteufelt, bringen wir die Menschen im globalen Süden um ihr Recht auf ein gutes Leben.“
- Berufung auf soziale Gerechtigkeit: „Klimaschutz verursacht hohe Kosten, die vor allem zulasten der ärmeren Bevölkerung gehen. Hart arbeitende Menschen sollen sich auch ihren Urlaub leisten können.“
Eine disruptive Veränderung ist nicht nötig: zu schwache Maßnahmen propagieren
- Technologiegläubigkeit: „Wir sollten uns auf die Forschung und Entwicklung neuer Technologien konzentrieren. Damit eröffnen sie uns ganz neue Möglichkeiten im Kampf gegen den Klimawandel.“
- Nur Reden statt Handeln: „Wir sind Vorreiter bei der Bekämpfung des Klimawandels. Weltmeister im Klimaschutz. Wir haben uns ambitionierte Ziele gesetzt und sogar den Klimanotstand ausgerufen.“
- Brückentechnologismus: „Fossile Energieträger sind Teil der Lösung. Unsere Kraftstoffe werden immer effizienter und sind die Brücke in eine kohlenstoffarme Zukunft.“
- Fördern statt Fordern: Die Menschen reagieren nicht auf restriktive Vorschriften und Verbote. Wir sollten viel lieber auf Anreize und freiwillige Selbstverpflichtung setzen.“
Nah verwandt mit den Ausreden sind die Denkfehler
Klimafakten gibt es zuhauf. Es gibt Ausstellungen zu diesem Thema und sogar eine eigene Website dazu. Man kann nicht sagen, dass wir nicht die wichtigsten Basics alle selbst wüssten. Dennoch handeln wir oft wider besseres Wissen. Der kanadische Umweltpsychologe Robert Gifford nennt die psychologischen Hürden, mit denen wir uns immer wieder selbst im Weg stehen, ganz poetisch „Die Drachen der Untätigkeit“. Nach der Heldenreise, wonach man erst den Drachen töten muss, um den Schatz (hier das umweltschonende Verhalten) zu bergen. Ganze 36 gibt es von ihnen, von denen ich meine persönlichen Lieblinge vorstelle. Die komplette Übersicht gibt es hier.
Begrenztes Denkvermögen
- Unser „Reptilienhirn“ ist für komplexe Themen wie den Klimawandel oder Biodiversität nicht geschaffen. Wir erfassen die vollständige Tragweite nicht.
- Weil uns das Bewusstsein für diese großen Zusammenhänge fehlt, fokussieren wir uns auf eine möglichst zeitnahe Belohnung, anstatt auf eine Verbesserung, die erst später in der Zukunft eintrifft.
- Optimism Bias: Wir überschätzen uns selbst und glauben, dass uns selbst schlimme Dinge schon nicht ereignen werden. Wir wohnen ja weder auf der Südhalbkugel noch im Ahrtal.
Ideologien
- Zu starker Glaube an den Kapitalismus kann dazu führen, dass der Glaube an das freie Unternehmertum einschließt, die freien Ressourcen der Natur im eigenen Interesse zu nutzen wie man will. Wohin dieser Denkfehler führt, zeigt die Überfischung der Weltmeere oder die Eutrophierung einst gesunder Äcker. Eine typische Tragik der Allmende.
- Systembegründung: Menschen, deren Lebensstil komfortabel, aber klimanegativ ist, möchten diesen Komfort nicht verlieren. Eine Möglichkeit, ihren Lebensstil intakt zu halten, besteht darin, zu glauben, dass unser Leben nun einmal so ist, wie es ist: Hallo Ausrede des vorschnell Kapitulierens!
- Und auch die Technologiegläubigkeit finden wir unter den Denkfehlern. Der Glaube, dass Technologien wie Geoengineering die Auswirkungen des Klimawandels umkehren können. Übermäßiges Technikvertrauen führt zu Untätigkeit in allen anderen Bereichen.
Vergleiche mit anderen
- Sozialer Vergleich: Menschen vergleichen oft ihre Handlungen mit denen anderer, um das „richtige“ Verhalten zu bestimmen, auch wenn dieses Verhalten schädlich für die Umwelt ist. In meiner Schulzeit war das das Rauchen. Fast alle taten es und wenn man dazugehören wollte, hat man eben mitgeraucht. Ich gehörte übrigens nie dazu.
- Soziale Normen: Normen sagen Verhalten voraus. Wenn Mietern der durchschnittliche Stromverbrauch in ihrem Block mitgeteilt wird, neigen sie dazu, ihren eigenen Verbrauch entsprechend anzupassen, egal ob er steigt oder sinkt!
- Wahrgenommene Ungerechtigkeit: Niemand möchte ausgenutzt werden. Wenn Menschen glauben, dass andere keine Schritte unternehmen, um ihren Kohlenstoffverbrauch zu reduzieren oder der Umwelt zu helfen, ist es weniger wahrscheinlich, dass sie dies selbst tun. Hallo Chinabashing!
Unumkehrbare Kosten
- Finanzinvestitionen: Habe ich mir gerade ein neues Auto geleistet, ist es wenig wahrscheinlich, dass ich aus Umweltgründen aufs Fahrrad umsteige. Jetzt steht das Auto ja schon in der Garage und muss gefahren werden. Die gleiche Argumentation begegnet mir beim Essen: Das Tier, aus dem die Wurst gemacht wurde, ist ja nun schon tot. Also können wir es auch essen!
- Verhaltensdynamik: Klimanegative Gewohnheiten sind schwer zu ändern. Dabei können besonders veränderte Essgewohnheiten und Transportgewohnheiten starke positive Auswirkungen auf Biodiversität, Klima und Umwelt haben.
- Widersprüchliche Ziele und Bestrebungen: Dies ist ein besonders schwieriger Drache. Wir alle haben mehrere Ziele, die oft an sich durchaus wertvoll sind, aber leider im Widerspruch stehen zu dem Ziel, die Umwelt nicht zu schädigen. Wenn ich zum Beispiel von Kuhmilch auf Mandelmilch umsteige, trage ich mehr zum Tierwohl bei, verursache aber Umweltschäden durch den massiven Wasserverbrauch, den der Mandelanbau verursacht.
Missbilligung
- Misstrauen: Manche Menschen misstrauen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und den daraus resultierenden politischen Entscheidungen zum Klimawandel. Dieses Misstrauen führt zu Untätigkeit.
- Wahrgenommene Programmunzulänglichkeit: Selbst wenn sie den Experten oder Politikern vertrauen, vertrauen sie möglicherweise nicht den Programmen, die damit einhergehen. Da die meisten dieser Programme freiwillig sind, machen manche Leute die Unzulänglichkeiten des Programms und nicht ihre eigene Nichteinhaltung dafür verantwortlich, dass sie nicht bereit sind, daran teilzunehmen. Hallo politischer Perfektionismus!
Gemein ist beiden Denkfehlern übrigens, dass wir einander nicht vertrauen und uns im schlimmsten Fall sogar trotzig zur Wehr setzen. Es gibt hier also noch eine weitere Dimension hinter den Denkfehlern.
Wahrgenommenes Risiko
- Funktionales Risiko: Was passiert, wenn die Änderung, die ich in Betracht ziehe, nicht so gut funktioniert wie meine derzeitige Wahl? Ich warte mit dem Kauf eines E-Autos besser noch ab, bis bessere Reichweiten auf dem Markt sind!
- Finanzielles Risiko: Lohnt sich die Investition in neue energiesparende Technik? Wenn sie sich am Markt nicht rechnet, stehen wir blöd da.
- Soziales Risiko (ähnlich zu den Vergleichen): Wie wird mein Ehemann reagieren, wenn ich nur noch alle paar Jahre eine Fernreise machen möchte?
Begrenztes Handeln
- Tokenismus: Alibimaßnahmen, die sich am einfachsten umsetzen lassen, haben tendenziell die geringste Auswirkung auf die Reduzierung von Treibhausgasen (z.B. Mülltrennung). Hallo Ausrede der zu schwachen Maßnahmen!
- Ergänzung von mir: Ähnlich dazu verhält sich der Single Action Bias: „Ich esse nur noch Bio“ gehört zu diesen einzelnen Handlungen, die unser Gewissen beruhigen.
- Rebound-Effekt: Der Rebound-Effekt ist möglicherweise der ironischste Drache der Untätigkeit und tritt auf, wenn auf ein positives Umweltverhalten ein Verhalten folgt, das es negiert. Beispielsweise fahren Menschen mit kraftstoffeffizienten Fahrzeugen manchmal mehr als diejenigen ohne. Die erzielten Einsparungen an Diesel oder Benzin werden dadurch wieder zunichte gemacht.
Bestimmt haben Sie viele Zusammenhänge zwischen den Denkfehlern und den Ausreden erkannt. Vielleicht auch bei sich selbst. So ging es mir jedenfalls 😉. Durchschaubaren Argumenten zu kennen, ist der erste Schritt, sie zu entzaubern. Wie das in der Praxis aussehen kann und welche Essentials ich Ihnen auf den Weg geben kann, wird Inhalt des nächsten Blogbeitrags sein. Dann widmen wir uns der wirksamen Klimakommunikation.